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Infos und Tipps Umgang mit Jungvögeln

von: Dr. Sylvia Haghayegh, tierpost 01/2016

Ratgeber Wildtiere –

In unseren Großstädten wird die Nistplatzsuche unserer heimischen Vögel zunehmend erschwert. Es werden immer öfter von den Vögeln Nistplätze an ungewöhnlichen Orten ausgewählt.

Ist ein Balkon schön grün bepflanzt, so wird er von unseren heimischen Singvögeln nicht lange unbemerkt bleiben. Enten brüten z.B. sehr gerne auf bepflanzten Dachterrassen oder Flachdächern. Meisen und Amseln z.B. sehr gerne in einem Blumentopf auf einem grünen Balkon. Dadurch bedingt entstehen bisweilen eine unerwartete Nähe und der Kontakt von Mensch und Tier. Oftmals werden wir von verunsicherten Tierfreunden gerufen, die für Umgang und Kontakt mit vermeintlich in Not geratenen Jungvögeln bei uns Rat und Hilfe suchen.

Nestflüchter

Sie kommen mit offenen Augen zur Welt, sind mit einem kompletten Daunenkleid ausgestattet und können vom ersten Tag an schon laufen. Viele können von Anfang an schon selbstständig Nahrung suchen und sie aufnehmen. Zu dieser Gruppe zählen alle Wasservögel: Enten, Gänse, Schwäne, Taucher, Hühnervögel, Schnepfen usw.

Platzhocker

Sie schlüpfen mit einem Daunenkleid wie die Nestflüchter, bleiben aber bis zum Flüggewerden im Nestbereich und werden von den Eltern gefüttert (Möwen, Seeschwalben). Blässhühner und Haubentaucher nehmen dagegen nur in den ersten Lebenstagen Futter vom Schnabel der Eltern auf.

Nesthocker

Sie schlüpfen je nach Rasse nackt oder sind mit einem feinen Flaum bedeckt. Bis auf einige Ausnahmen sind ihre Augen anfangs noch zu und können erst nach einigen Tagen sehen (sie sind noch nicht so gut entwickelt wie die Nestflüchter). Diese Nestlinge sind vollständig auf die Pflege der Altvögel und die Nestwärme angewiesen. Zu dieser Gruppe zählen alle Singvögel, Tauben und Rabenkrähen. Die Nestlingsdauer (die Zeit im Nest) beträgt bei Meisen und Amseln ca. 2 Wochen. Bei den Tauben beträgt sie ca. 3 Wochen und bei Rabenkrähen fast 30 Tage.

Mit dem Verlassen des Nestes beginnt die Ästlingsphase. Das ist die Zeit, wo die Vögel fürs Nest zu groß werden, die Umgebung erkunden wollen, aber noch nicht fliegen können. Sie verlassen das Nest, fallen auf den Boden oder verbringen die Zeit auf den Ästen und verweilen dort. Sie halten jedoch mit ihren Eltern Rufkontakt. Sie verfügen über typische Bettel- oder Standortrufe. Mit diesen Rufen machen sie sich für ihre Eltern bemerkbar und werden dann von ihnen am Boden weiter gefüttert. Die Ästlinge hüpfen am Boden umher und hüpfen im Gebüsch von Ast zu Ast. Hier unternehmen sie auch erste Flugversuche. In dieser Zeit werden sie noch immer von den Eltern gefüttert. OptimalerWeise sind sie hier auf ein Gebüsch angewiesen, um sich vor Fressfeinden verstecken zu können und nicht gleich gesehen zu werden.

Mauersegler bilden hier jedoch die Ausnahme. Sie verlassen flügge das Nest und können sofort fliegen. Ein zu früh aus dem Nest gefallener junger Mauersegler muss somit per Hand aufgezogen und gefüttert werden.

Die Ästlingsdauer (die Zeit am Boden, bis der Vogel fliegen kann) beträgt bei den Meisen einige Tage, bei den Amseln ca. eine Woche, bei den Tauben und bei Rabenkrähen ca. 3 bis 4 Wochen. Bis zur Lösung von den Eltern können zusätzlich nochmal 2 bis 3 Wochen vergehen, denn sie halten alle noch Kontakt zu ihren Eltern.

Bei der Amsel dauert die Zeit von der Geburt bis zur eigenen Futteraufnahme ca. 20 Tage und bis zur Lösung von den Eltern ca. 35 Tage.

Bei der Rabenkrähe beginnt die eigene Futteraufnahme mit 55-60 Tagen. Bis zur Lösung von den Eltern kann es jedoch bis zu 75 Tage dauern. Das bedeutet, dass diese Ästlinge ca. 1-1,5 Monate am Boden von den Eltern weiter versorgt werden. Eine beeindruckend lange Zeit.

Tipps zum Erkennen gesunder Jungvögel (Ästlinge):

Sie sind lebhaft, sitzen oder hüpfen am Boden und zeigen keine Verletzungen. Sie haben (je nach Alter) ein fast vollständig entwickeltes Federkleid. Die Federn wirken noch etwas flaumig. Meist ist der Schwanz deutlich kürzer als bei den Altvögeln. Die Haut ist sehr dünn und fast durchsichtig. Besonders bei den Rabenkrähen sind deshalb die darunter gelegenen sehr großen Gelenke deutlich zu sehen. Viele Anrufer halten diese fälschlicher Weise für offene Verletzungen an den Füßen und an den Flügeln, da die Haut so dünn und durchscheinend ist.

Unser Anliegen:

Sollten Sie also solch einen „vermeintlich verwaisten“ Jungvogel unten am Boden sehen, bitte lassen Sie ihn in Ruhe und dort wo er ist, damit er nicht aus seinem Familienzusammenhalt gerissen wird. Er ist durchaus nicht verlassen und verwaist. Sitzt so ein kleiner Vogel jedoch mitten auf dem Weg oder sogar auf der Straße, nehmen Sie ihn bitte vorsichtig auf und setzen ihn zur Sicherheit in nächster Nähe ins Gebüsch. Lassen Sie im Zweifelsfall jeden Jungvogel dort, wo sie ihn scheinbar elternlos finden! Nur wo Sie mit eigenen Augen den Tod der Eltern gesehen haben dürfen Sie ihn in Ihre Obhut nehmen.

Hilfe anbieten:

Sollten Sie nach einem heftigen Frühjahrssturm oder einem Unwetter einen nackten kleinen hilflosen Vogel am Boden finden, so muss er zurück ins Nest, soweit dieses auffindbar und erreichbar ist. Fällt ein Nest unbeschädigt vom Baum, muss man es wieder in erreichbarer Höhe anbringen. Sollte das Nest beschädigt sein, können Sie auch ein Ersatznest anbringen. Man sollte hier die überlebenden Nestlinge vorsichtig aufheben und ins Nest zurücksetzen. Da die Vögel kein gutes Riechvermögen haben, dürfen Sie diese Jungen durchaus zum Umsetzen auch anfassen. Die Nestlinge werden dann wieder von der Mutter angenommen und versorgt. Also bitte zunächst einige Zeit abwarten und das Nest aus der Ferne beobachten bevor Sie einen Jungvogel entfernen.