Ausflug in den Untergrund
An einem Sonntagmittag erhielten wir einen Anruf von einer Spaziergängerin, die sich gerade am Petuelring auf dem Weg zum Olympiapark befand. Als sie ein anhaltendes jämmerliches „Miauen“ hörte, machte sie sich auf die Suche, woher denn diese Klagelaute wohl kämen.
Von Dr. Sylvia Haghayegh. Aus den Tiefen eines Notausstiegschachtes der U-Bahn sah sie in der Dunkelheit ein ängstliches Augenpaar eines kleinen Kätzchens in etwa einem Meter Tiefe, unterhalb eines Gitterrostes aufblitzen. Sie informierte mich, dass ihre Versuche, den Gitterrost an zu heben leider scheiterten und sie darin jetzt einen Notfall sah und die Tierrettung alarmierte.
Als ich gemeinsam mit unserem Studenten Christoph Stiebritz am Einsatzort eintraf, versuchte ich, nachdem mir die Anruferin den genauen Fundort gezeigt hatte, mir einen ersten Eindruck über den allgemeinen Gesundheitszustand des Tieres zu verschaffen. Das klägliche Jammern und die intensive Blickkontaktsuche ließen annehmen, dass das arme Geschöpf dringend unsere Hilfe erwartete. Für mich stellte sich in diesem Augenblick nur die Frage, wie dieses Kätzchen in diesen Schacht gelangen konnte. Eine schnelle Rettung würde in jedem Fall nur über die Entfernung des Gitterrostes möglich sein.
Da auch unsere gemeinsamen Versuche, den massiven Gitterrost anzuheben, nicht erfolgreich waren und wir über passendes Werkzeug nicht verfügten, rief ich die Münchner Berufsfeuerwehr zu Hilfe. Als die Männer der Münchner Feuerwehr das Gitter mit Spezialgerät etwas anhoben, begab sich das Kätzchen sofort vertrauensvoll in die ausgestreckten Arme der Retter.
In unserem Notarztwagen führte ich eine klinische Erstuntersuchung durch. Es handelte sich um einen jungen, nicht kastrierten Kater. Obwohl sich Kreislauf, Herzfrequenz und Körpertemperatur im Normbereich befanden, konnte ich beim Abtasten des Körpers feststellen, dass der kleine Kerl bereits deutlich abgemagert war. Es lag nahe, dass das Tier wohl bereits seit mehreren Tagen in dieser misslichen, lebensgefährlichen Lage gewesen sein musste. Um den starken Flüssigkeitsverlust auszugleichen, verabreichte ich dem kleinen Patienten zunächst eine Infusion mit Kochsalzlösung. Richtig erleichtert war jedoch anschließend unser gesamtes Rettungsteam als sich unser kleiner Patient mit Heißhunger auf eine angebotene Mahlzeit stürzte und sie in wenigen Augenblicken verschlang.
Da der kleine Kater weder tätowiert noch mit einem Mikrochip versehen war, übergaben wir ihn anschließend dem Münchner Tierheim, wo wir tags darauf die Information erhielten, dass er dort seit 2 Wochen als vermisst gemeldet war und bereits wieder bei seinem Besitzer sei. So fand dieser gefährliche Ausflug doch noch ein glückliches Ende.