Spektakuläre Rettungsaktion
Spatenbrauerei München. Um ein Tier retten zu können, müssen unsere Tierärzte manchmal schwierige Entscheidungen treffen. So ist es auch Dr. Sylvia Haghayegh ergangen, als sie einen Notruf aus der Spatenbrauerei erhielt.
Von Lea Grünberg. Welches Drama sich dort allerdings abspielen würde, ahnte sie zunächst nicht: Eine Katze hatte sich in einem Förderband zwei Pfoten eingeklemmt – und konnte nur unter schwierigsten Umständen befreit werden: Eine Geschichte voller Wunder.
Es ist ein eisiger Novembermorgen, an dem die Angestellten der Spaten- Brauerei wie gewohnt um kurz nach sechs Uhr ihren Dienst antreten. Sie erwarten einen ganz normalen Tag. Mit einem rechnen sie aber nicht: Irgendwo aus der Ferne an ihrem Arbeitsplatz ein klägliches Miauen zu hören. Sie trauen ihren Ohren kaum: Eine Katze – ausgerechnet in einer Brauerei? Die Angestellten beginnen sofort nach dem Tier zu suchen, sie durchkämmen jeden Winkel und werden schließlich am Lastenaufzug fündig. Es ist ein grausames Bild, das sich ihnen zeigt: Die Katze liegt genau am hinteren Ende eines Förderbandes, das direkt zu besagtem Aufzug führt. Dieses Förderband besteht aus Walzen, die hintereinander angeordnet liegen und an ihrem Ende geht es fünf Meter in die Tiefe und genau in die beiden letzten Rollen des Förderbandes hatte sich das Tier eine Vorder- und eine Hinterpfote eingeklemmt. Die Männer wollen das Tier befreien, ziehen und zerren an den Rollen und an den Pfoten, wollen die Katze aber natürlich auch nicht verletzen. Irgendwann, nach großen Mühen, gelingt es ihnen, wenigstens die linke Vorderpfote frei zu bekommen. Doch die Katze dankt ihnen das nicht, sondern beißt vor Schreck kräftig einen ihrer Retter in die Hand. Die Brauereiangestellten sind ratlos. Ihr Schichtleiter Hans Pfeifer ist es schließlich, der zum Telefon greift und die aktion tier-tierrettung münchen alarmiert. Und er ist es auch, der der Bergung der Katze noch vor der eigentlichen Arbeit in der Brauerei absolute Priorität einräumt.
Wenig später trifft Tierärztin Dr. Sylvia Haghayegh ein. Im Kopf hat sie zunächst nur einen Gedanken: „Ich muss das Bein anfassen und es herausziehen.“ Doch beim Versuch, die Pfote zu bewegen, schlägt die Katze wild um sich. Sie wirft ihren ganzen Körper hin und her. Die Tierärztin bekommt einen Kloß im Hals, muss sie doch befürchten, dass sich die Pfote durch die heftigen Bewegungen der Katze weiter in die Walzen schiebt und bricht – wenn das nicht ohnehin schon vorher geschehen ist. Denn das Tier leidet offensichtlich unter großen Schmerzen, das ist der Veterinärin klar. Sie hat nur eine Wahl: Die Katze zu narkotisieren. Ein erhebliches Risiko, denn jede Narkose senkt die Körpertemperatur ab. Doch Dr. Sylvia Haghayegh muss sich dieser Gefahr stellen, will sie die Katze schmerzfrei befreien. Doch auch unter Narkose lässt sich die Pfote keinen Millimeter weit verschieben, geschweige denn herausziehen. Dr. Haghayegh beginnt innerlich zu verzweifeln. Ihr schießen die Tränen in die Augen, und sie überlegt, ob sie dem Tier die Pfote amputieren müsse, um es zu befreien.
Doch die Männer von der Brauerei geben nicht auf. Sie wollen die Walzen irgendwie lösen. Ein schwieriges Unterfangen: Zum einen ist es um diese Zeit im November noch dunkel, zum anderen sind die Männer keine Mechaniker. Zudem ist genau auf der Höhe der Walzen seitlich ein Gitter angebracht, das heißt: Die Männer kommen nicht ohne weiteres an die Schrauben heran. Zudem fehlt ihnen für diese speziellen Befestigungen das geeignete Werkzeug. Trotzdem lassen sie nicht locker, sie legen sich auf die Walzen, doch auch auf diese Weise können sie die Schrauben nicht genau sehen. Also rufen sie den zuständigen Mechaniker an, doch der befindet sich noch nicht im Haus. Eine andere theoretische Möglichkeit wäre es noch gewesen, den Aufzug in Betrieb zu setzen und ihn nach oben zu fahren. Die Männer hätten zwar besser an den Walzen arbeiten können, allerdings hätten sich dann womöglich die Walzen bewegt und das Bein noch stärker festgezogen. Es ist ein Bild zum Verzweifeln: Jeder gibt sein Bestes, jeder ist mit Herzblut dabei, doch fast scheint es so, als sei alles Bemühen vergeblich.
Und doch geschehen dann gleich mehrere Wunder. Dr. Sylvia Haghayegh legt das Tier in Narkose – und dann geht alles sehr schnell. Die Männer schaffen es, eine Schraube zu lösen, und die Tierärztin zieht das verletzte Bein aus den Walzen. Doch es gibt ein weiteres lebensbedrohliches Problem. Die Körpertemperatur der Katze war gefährlich gesunken. Dass das Tier unterkühlt sein muss, hatte die Tierärztin erwartet, es lag ja stundenlang bei eisigen Temperaturen auf dementsprechend eisigen Metallrohren. Doch mit einer Absenkung von normal bis zu 39 Grad Celsius Körpertemperatur auf 32,4 Grad Celsius konnte sie nicht rechnen! Die Tierärztin reagiert sofort. Sie hüllt das Tier in eine warme Decke und bettet es auf eine Wärmflasche. Vorsichtig tastet die Veterinärin noch das Bein der Katze nach einem eventuellen Bruch ab, doch sie kann nichts feststellen. Sie vermutet allerdings einen Bänderriss im Knie. Um ganz sicher zu gehen, bringt die Tierärztin ihre kleine Patientin in die Chirurgische Abteilung der Tierklinik. Zum Glück zeigt das dort angefertigte Röntgenbild keine Schädigung des Beines, sondern nur ein paar oberflächliche Schürfwunden, die normalerweise schnell wieder verheilen. Allerdings ist da noch die starke Unterkühlung. Als Dr. Sylvia Haghayegh die Tierklinik verlässt, ist sie nicht sicher, die Katze noch einmal lebend zu sehen.
Zu klären ist auch noch eine weitere entscheide Frage: Wem gehört diese Katze, die weder tätowiert noch gechipt ist? Auch darüber hatte sich die Tierärztin permanent den Kopf zermartert. Doch wieder kommt ihr ein kleines Wunder zu Hilfe. Die Katzenhalterin hatte ihr Tier bereits seit dem 9. November vermisst und überall Zettel aufgehängt. Sie hatte sie auch in der Uni-Tierklinik und im Tierheim gesucht. Genau an dem Tag, an dem die Katze gerettet wurde, hatte sie zudem noch den Tipp bekommen, auch in der chirurgischen Tierklinik nachzufragen. Dank des beherzten Einsatzes der Männer von Spaten und von Dr. Sylvia Haghayegh ist schon bald eine Münchnerin überglücklich. Denn ihr kleiner Liebling überlebt seinen eisigen und beklemmenden Ausflug in die Brauerei und darf schon wenig später wieder nach Hause. „So viele Wunder auf einmal sind ein Wunder“, sagt Dr. Sylvia Haghyayegh. Aus ihrer Sicht hätten die Männer von der Brauerei für ihren Einsatz einen Tierschutzpreis verdient. Und auch die Vizepräsidentin von aktion tier-tierrettung münchen, die Rechtsanwältin Dr. Evelyne Menges, zeigt sich schwer beeindruckt: „Diese Katze hatte wirklich unglaubliches Glück. Höchstes Lob verdienen die Angestellten der Brauerei, die zum einen durch ihre Aufmerksamkeit das hilflose Tier fanden und zum anderen gemeinsam mit der Tierrettung München alle Anstrengungen unternommen haben, das Tier aus seiner misslichen Lage zu befreien.“
P.S.: Zwei Wochen später: Dr. Sylvia Haghayegh besucht die Besitzerin, um nach dem Kätzchen zu sehen. Die Kleine war ja zum Zeitpunkt ihrer Rettung mehr als eine Woche lang verschwunden gewesen und stark abgemagert. Als die Veterinärin nun, 14 Tage später, ihre kleine Patientin wieder sieht, hat sie bereits an Gewicht zugelegt: „Ich habe sie gar nicht mehr erkannt.“ In diesem Fall ein großes Glück für die Katze.